


Veränderungsprozesse brauchen Gemeinsamkeit
Die westliche Zivilisation
zeigt
zunehmend Verfallserscheinungen: Die Bürger wenden sich von etablierten
Parteien ab und rebellieren gegen ein System, das rund 70 Jahre ein
friedliches Zusammenleben und einen in der Breite bislang nie
dagewesenen Wohlstand bescherte. In den vergangenen
Monaten erschienen sicher nicht zufällig eine Reihe hochinteressanter
Publikationen, die das Unbehagen der Bürger und die Unzufriedenheit mit
dem System, der Gesellschaft, der Globalisierung und den noch
dominierenden Parteien analysieren. Hierzu gehören die
Veröffentlichungen von Francis Fukuyama „Identität. Wie der Verlust der
Würde unsere Demokratie gefährdet“ oder auch von Paul Collier „Sozialer
Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft“.
Das
findet nun mit Notker Wolfs „Das Unmögliche denken, das Mögliche wagen.
Visionen für eine bessere Zukunft“ eine lesenswerte Erweiterung. Die
zentrale Erkenntnis dieser Publikationen: Wertschätzung und Teilhabe
sind unverzichtbar und von zentraler Bedeutung für das
Zugehörigkeitsgefühl und die Integration in ein gemeinsames Ganzes.
Bemerkenswert war für mich bei der Lektüre, dass der Gründer des Benediktinerordens bereits im Jahr 529 n. Chr. in den Ordensregeln vorschrieb, dass bei wichtigen Entscheidungen vom Abt eines Klosters erst der Rat aller Brüder eingeholt werden müsse, bevor er mit sich selbst zu Rate gehe. Das auch mit dem Hinweis, dass es – nun in meinen Worten geschrieben – oft die Jüngeren seien, die den Blick für eine bessere Lösung hätten. Wieso, so frage ich mich, ist es fast 1500 Jahre später immer noch so schwierig, nicht nur als junger Mensch das Gehör von Entscheidern zu erhalten und Veränderungen zukunftsfest und mit hoher Zustimmung herbeizuführen?
Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Veränderungen, sondern auch um solche in Unternehmen. Das im Buch erwähnte 3i-Programm von Siemens steht als Beispiel für vergleichbare Initiativen in vielen Unternehmen. Gerade die digitale Transformation macht es unumgänglich, Wissen und Ideen von Mitarbeitern ernsthaft zu prüfen und in die Weiterentwicklung von Organisationen einzubeziehen. Viele haben die Zeichen der Zeit erkannt. Bleibt abzuwarten, was aus den Ergebnissen der vielen Labs, die derzeit installiert werden, herauskommt.
Und wie schaut es mit
Ideenpools für die Gesellschaft aus in Zeiten, in denen die
Parteienmacht immer weiter abnimmt? Wo sind die Bürger-Labs, wo werden
Anregungen ernst genommen? Wenn Notker Wolf dazu beiträgt, dass eine
neue Kultur des Miteinander-die-Zukunft-Gestaltens entsteht, dann hat er
einen wichtigen Impuls für unser Zusammenleben und unser
Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben. Ich wünsche dem Buch viele
nachdenkliche, neugierige und veränderungsbereite Leser aus Politik,
Medien, Sozialwissenschaften, öffentlichen Institutionen und
Unternehmen.