



Girls Day – oder der Mut der Frauen
Morgen ist wieder Girls’ Day oder „Mädchen-Zukunftstag“. Mädchen ab der 5. Klasse sollen an diesem Tag in Unternehmen und Betrieben Berufsfelder kennenlernen, in denen das weibliche Geschlecht unterrepräsentiert ist. Als die Idee entstand, ging es der Initiative D21 darum, Mädchen für die sogenannten MINT-Berufe zu begeistern und damit neue und zukünftig dringend gebrauchte Potenziale für die (digitale) Gesellschaft zu erschließen und sich abzeichnende demografische Lücken in Facharbeiterberufen auszugleichen.
Immer wenn es auf den Stichtag zugeht, sehe ich Schülerinnen in der Innenstadt von einem Geschäft zum nächsten hasten mit der Frage auf den Lippen, ob man denn nicht dort einen Platz für sie habe. Und meine Nichte hatte die Idee, den Tag in einem Nagelstudio zu verbringen. Schülerinnen im Nagelstudio oder an der Seite von Verkäuferinnen zum Girls‘ Day – das ist keine Ausnahme und weit weg von den hehren Zielen und dem großen Tamtam, mit dem in Berlin der Tag unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin begangen wird.
Als Kind fand ich es herrlich, mit meinen Spielkameraden – fast ausschließlich Jungs – in den Werkstätten ihrer Väter und Großväter rumzustöbern, ich interessierte mich für die Traktoren und Landmaschinen der Bauern (ein überwältigendes Glücksgefühl, mit 12 Jahren zum ersten Mal einen Traktor über das Feld zu fahren), wünschte mir mit sechs Jahren einen Konstruktionsbaukasten, bekam ihn auch und erfand in den folgenden Jahren allerlei Fantasiemaschinen, für die ich mittels Batterien Antriebe baute, reparierte Elektrostecker und Lampenanschlüsse. Keiner hinderte mich in den 1960er Jahren daran, die Welt außerhalb des familiären Akademikerdenkens zu entdecken. Ich lernte von meiner Mutter mehr über die große Welt der Botanik als jemals in der Schule (nur ihre Liebe zur Chemie ist an mir abgeprallt) und fand Mathematik spannend. Nach dem Abitur stand mir die gesamte Fächerwelt offen und ich entschied mich – für ein Musikstudium, eine damals mutige Entscheidung. Noch mutiger war es, sie zehn Jahre später – und erstaunlicherweise dann gegen Widerstände – wieder zu revidieren.
In Deutschland fehlen perspektivisch nicht nur im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich die Fachkräfte, sondern sehr konkret auch in der Erziehung in Kindergärten und Schulen, in der Pflege und in vielen Handwerksberufen, die im täglichen Leben unverzichtbar sind und der Grundversorgung dienen.
Und vor allem fehlt es an Mut. Am Mut der Frauen, sich etwas zuzutrauen. Am Mut, Entscheidungen treffen und wieder revidieren zu dürfen. Am Mut der Frauen, sich frei für oder gegen das Berufs- und Frauenbild in der eigenen engeren Umgebung entscheiden zu dürfen.
Als ich vor zwei Jahren einmal in einer öffentlichen Veranstaltung zum Thema Frauenbild ein Plädoyer für die berufliche Selbstständigkeit von Frauen hielt, wurde ich dafür niedergemacht. Offenbar ist es selbst für einen Teil der Frauen, die das Etikett Emanzipation vor sich hertragen, undenkbar, dass die Freiheit der Frauen auch die ist, als Existenzgründerin oder Unternehmerin erfolgreich zu sein.
Girls‘
Day sollte übertragen heißen: Mut zur eigenen freien Entscheidung. Für
die eine kann das ein MINT-Beruf sein, für die andere der „klassisch“
pädagogische oder karitative Weg. Für die eine der Gesellen- oder
Meisterbrief, für die andere die Forschungsstelle. Für die eine die
Managerverantwortung in einer Organisation, für die andere das
Unternehmertum. Die Schüleraktion CHEF für 1 TAG fördert genau das: sich
selbst und die eigenen Stärken besser kennenlernen, sich etwas
zutrauen, auch wenn die konkrete Vorstellung noch ganz weit weg ist. Das
gilt übrigens für Schülerinnen genauso wie für Schüler .