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Die dreifache Krise

Rudolf Hickel, 11. März 2020

Das Coronavirus widerlegt schlagartig die Ideologie von der nur wohlstandsstiftenden Globalisierung. Die gegensteuernde Politik muss sich nun einer dreifachen Krisenkonstellation stellen.

Das über Menschen transportierte Coronavirus hat längst die Weltwirtschaft und damit auch Deutschland infiziert. In einigen Regionen Chinas kam es zum massiven Produktionsstillstand und damit zur Unterbrechung der Lieferketten. Darüber ist der Erreger auf die Wirtschaft in anderen Ländern übertragen worden. Diese virale Geißel widerlegt schlagartig die Ideologie von der nur wohlstandstiftenden Globalisierung. Vor allem durch deutsche Unternehmen genutzte Lohnkostenvorteile waren es, die zu dieser dramatischen Abhängigkeit von China geführt haben. In der aktuellen Corona-Pandemie besonders bitter, auch dringend gebrauchte Medikamente sind nicht in die Welt lieferbar.

Diese Virus-Plage trifft die Wirtschaft auf der Angebotsseite. Produktionsstopps führen zu schrumpfendem Absatz und Erlöseinbußen. Die Gefahr einer nachfolgenden Finanzmarktkrise kommt hinzu. Bei Niedrigzinsen großzügig vergebene Bankenkredite können nicht mehr bedient werden und neue Kredite gibt es nicht. Dazu kommen die durch die Produktionskrise ausgelösten Kursverluste vieler börsennotierter Unternehmen. Allerdings geht der über Panik und im Herdentrieb angetriebene Absturz der Aktienindizes weit über die real-ökonomischen Einbußen hinaus. Schließlich lösen die sich vervielfachenden Einkommensverluste eine gesamtwirtschaftliche Nachfragekrise aus.

Die gegensteuernde Politik muss sich dieser dreifachen Krisenkonstellation stellen. Allerdings taugt die Forderung nach einer neuen Zinssenkungsrunde durch die EZB wenig. Bei der EZB gibt es kaum noch Spielraum für eine erfolgreiche Senkung des Leitzinses von null auf minus. Selbst die bisherige Niedrigzinspolitik hat kaum zu einem deutlichen Mehr an Unternehmensinvestitionen geführt. Daher muss die Politik umso intensiver die Folgen der Produktionsunterbrechung mit gezielten Instrumenten überbrücken. Es geht darum, unverschuldet belastete Unternehmen nicht bankrottgehen zu lassen.

Absoluten Vorrang hat die Begrenzung der weiteren Ausbreitung dieses Virus. Dazu gehören die vielen Kontroll- und Präventivmaßnahmen.
Vor allem aber müssen Kliniken, Arztpraxen und die vielen anderen medizinischen Einrichtungen finanziell unbürokratisch unterstützt werden. Dazu gehört der Abbau der schon lange beklagten Personalengpässe im Gesundheitssystem. Eine Erkenntnis zur Struktur des Gesundheitssystems hat die Viruskrise schon produziert: Gebraucht wird ein flächendeckendes Angebot an Krankenhäusern vor allem mit öffentlich verantwortlichen, gemeinnützigen Anbietern – und keine weitere profitwirtschaftliche Privatisierung der Einrichtungen.

In diesem Zusammenhang wurde bereits ein ganzes Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen. Dazu zählt etwa, das für „außerordentliche Verhältnisse“ eingeführte
Kurzarbeitergeld für 24 Monate , das auch schon im Zuge der Finanzmarktkrise 2008/2009 eingesetzt worden war, sofort auf Antrag der Unternehmen unbürokratisch einzusetzen.

Denkbar wäre auch, staatliche Programme und deren Finanzierung in einem föderal ausgerichteten
Bundes-Sonderinvestitionsfonds „Anti-Corona-Programm (ACP)“ zu bündeln. Nach Aussagen des Bundesfinanzministers wären 50 Milliarden Euro schnell mobilisierbar und könnten bei Bedarf kreditfinanziert ausgeweitet werden. Daraus zu finanzieren wären dann Zahlungen an das Gesundheitssystem im Ausmaß der Zusatzlasten wie Quarantäne-Stationen einschließlich des Mehrbedarfs an Personal, aber auch die Übernahme der zusätzlichen Ausgaben, die mit dem Kurzarbeitergeld auf die Bundesagentur für Arbeit zukommen. Des Weiteren müssten damit Liquiditätshilfen und andere Überbrückungszuschüsse für besonders betroffene Unternehmen, Notkredite an Unternehmen und Zuschüsse für den Kapitaldienst sowie die Stundung von Steuerzahlungen für illiquide Unternehmen finanziert werden. Zur Stärkung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage könnte auch das ohnehin erforderliche „Zukunftsinvestitionsprogramm“ mit dem Schwerpunkt ökologischer Umbau vorgezogen werden.

Wie also sollen die Kosten zur Bekämpfung der medizinischen und ökonomischen Folgen der Corona-Wirtschaftskrise finanziert werden? In Hongkong wird zur Stärkung der privaten Haushalte im Sinne von „Helikoptergeld“ ein Kopfgeld ausgezahlt. Diese Geldvermehrung setzt nicht an den Krisenursachen an und ist nicht nachhaltig ausgerichtet. Für Deutschland gibt es ein gesamtwirtschaftlich gut begründetes Finanzierungsinstrument für das „Anti-Corona-Programm“. Es ist die Aufnahme von öffentlichen Krediten.

Jetzt kommt die
Ausnahmeregel zur Schuldenbremse in Artikel 115 GG zum Zuge. Dort heißt es: „… Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden.“

Rudolf Hickel ist Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen. 


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