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Veränderungsprozesse brauchen Gemeinsamkeit

Hans-Peter Canibol, 26. März 2019

Die westliche Zivilisation zeigt zunehmend Verfallserscheinungen: Die Bürger wenden sich von etablierten Parteien ab und rebellieren gegen ein System, das rund 70 Jahre ein friedliches Zusammenleben und einen in der Breite bislang nie dagewesenen Wohlstand bescherte. In den vergangenen Monaten erschienen sicher nicht zufällig eine Reihe hochinteressanter Publikationen, die das Unbehagen der Bürger und die Unzufriedenheit mit dem System, der Gesellschaft, der Globalisierung und den noch dominierenden Parteien analysieren.

Zu diesen Publikationen gehören die Veröffentlichungen von Francis Fukuyama Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet oder auch von Paul Collier Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft.

Das findet nun mit Notker Wolfs Das Unmögliche denken, das Mögliche wagen. Visionen für eine bessere Zukunft eine lesenswerte Erweiterung. Die zentrale Erkenntnis dieser Publikationen: Wertschätzung und Teilhabe sind unverzichtbar und von zentraler Bedeutung für das Zugehörigkeitsgefühl und die Integration in ein gemeinsames Ganzes.

Bemerkenswert war für mich bei der Lektüre, dass der Gründer des Benediktinerordens bereits im Jahr 529 n. Chr. in den Ordensregeln vorschrieb, dass bei wichtigen Entscheidungen vom Abt eines Klosters erst der Rat aller Brüder eingeholt werden müsse, bevor er mit sich selbst zu Rate gehe. Das auch mit dem Hinweis, dass es – nun in meinen Worten geschrieben – oft die Jüngeren seien, die den Blick für eine bessere Lösung hätten. Wieso, so frage ich mich, ist es fast 1500 Jahre später immer noch so schwierig, nicht nur als junger Mensch das Gehör von Entscheidern zu erhalten und Veränderungen zukunftsfest und mit hoher Zustimmung herbeizuführen?

Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Veränderungen, sondern auch um solche in Unternehmen. Das im Buch erwähnte 3i-Programm von Siemens steht als Beispiel für vergleichbare Initiativen in vielen Unternehmen. Gerade die digitale Transformation macht es unumgänglich, Wissen und Ideen von Mitarbeitern ernsthaft zu prüfen und in die Weiterentwicklung von Organisationen einzubeziehen. Viele haben die Zeichen der Zeit erkannt. Bleibt abzuwarten, was aus den Ergebnissen der vielen Labs, die derzeit installiert werden, herauskommt.

Und wie schaut es mit Ideenpools für die Gesellschaft aus in Zeiten, in denen die Parteienmacht immer weiter abnimmt? Wo sind die Bürger-Labs, wo werden Anregungen ernst genommen? Wenn Notker Wolf dazu beiträgt, dass eine neue Kultur des Miteinander-die-Zukunft-Gestaltens entsteht, dann hat er einen wichtigen Impuls für unser Zusammenleben und unser Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben. Ich wünsche dem Buch viele nachdenkliche, neugierige und veränderungsbereite Leser aus Politik, Medien, Sozialwissenschaften, öffentlichen Institutionen und Unternehmen.

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